La Nación, argentinische Tageszeitung
Ausgabe vom 15.04.2002

Urteil des Bundesgerichts: Ein Angriff auf die Internet-Site des Obersten Gerichtshofs der Nation wurde verhandelt

Das Sabotieren einer Webseite ist keine Straftat

Der Richter Sergio Torres begründet [seine Entscheidung] damit, dass nur Personen, Tiere und Dinge vom Strafgesetz geschützt werden.

  • Es war der erste Fall eines Hackers, der in Argentinien angeklagt war
  • Die Tat wurde von den Richtern des Gerichtshofs angezeigt
  • Letztendlich wurden alle Angeklagten freigesprochen

Ein Gerichtsurteil, das letzten Donnerstag in der Zeitschrift "La Ley" veröffentlicht wurde, stellte fest, dass das Hacken oder Verändern der Internetseite des Obersten Gerichtshofs der Nation keine Straftat ist.

Das Urteil des Bundesrichters Sergio Torres, das von dem Staatsanwalt Jorge Alvarez Berlanda nicht angefochten wurde, entschied, dass jede Person Information, die im Internet erscheint, löschen oder ändern kann, weil nur "Personen", "Tiere" und "Dinge" vom Strafgesetz geschützt werden.

Dem Magistrat zufolge passen Internetseiten in keine der drei Kategorien: Sie sind nur "nicht materielle Elemente".

In anderen Worten: Das Eindringen in EDV-Systeme für Spionage, Sabotage, die Herausgabe von Aufrufen oder das Löschen von Information wird von den argentinischen Gesetzen nicht bestraft. So hat es Richter Torres festgestellt.

"Eine Webseite kann nicht der Bedeutung einer Sache gleichgestellt werden. Das ist so, solange sie ihrer Natur nach kein körperliches Objekt ist und auch nicht materiell registriert werden kann", urteilte der Vorsitzende der Bundesverhandlung N° 12 dieser Hauptstadt am vergangenen 20. März.

Das Urteil ist aus zwei Gründen besonders beachtenswert. Erstens, weil es sich um den ersten Fall eines Hacks oder eines EDV-Angriffs handelt, der das argentinische Bundesgericht erreicht. Zweitens, weil der Anzeigeerstatter niemand geringeres ist als der Oberste Gerichtshof der Nation, durch seinen Präsidenten, Julio Nazareno.

Es gibt keine Gesetze

"Die Entscheidung in diesem Fall zeigt, dass es keine Gesetze gibt, um die Datensabotage zu bestrafen", sagte der Anwalt Juan Pablo Gallego, Verteidiger von Julio López, dem Hauptangeklagten in der Sache.

Aber nicht alle in der Angelegenheit Sachverständigen sind mit dem Richter einig. Antonio Millé, der Anwalt von Microsoft, zögerte nicht, das Urteil zu kritisieren. "Meine Meinung ist, dass ein materielles Gut oder eine Sache, die der Speicher, in dem die HTML-Datei gespeichert ist, die, wenn sie ausgeführt wird, die Darstellung der Website oder -seite bewirkt, darstellt, angegriffen wurde. Die Hacker haben die entsprechenden Spannungszustände in den Zellen, die diese Datei enthalten, verändert und somit die Kobination einiger Einsen und Nullen, aus denen sie sich zusammensetzt geändert", signalisierte Millé.

Der Fall hat auch eine noch nicht aufgelöste Konkurrenz zwischen der Bundespolizei, der Nationalgendarmerie und dem staatlichen Ermittlungsamt (SIDE) [Anm.: das dürfte dem Bundesverfassungsschutz entsprechen] um die Führung in den Ermittlungen von Datenstraftaten ausgelöst. "Das Ziel? Die Anweisung grösserer Budgetposten und die Änderung der Gesetze, die die Beteiligung der Streitkräfte an inneren Ermittlungsaufgaben verhindern und die Gründung eines Verteidigungs-, Sicherheits und Ermittlungsrates, dessen Aufgabe unter anderem der Schutz der nationalen Kommunikation und EDV-Systeme wäre, zu erreichen", signalisiert ein Artikel der Zeitschrift "Information Age" vom letzten November.

Der Nachrichtendienst wurde verstärkt

Die Datensicherheit ist eine Nische von wachsender strategischer Bedeutung seit den Attentaten vom 11. September auf die Zwillingstürme von New York.

Einer Vielzahl von nachrichtendienstlichen Quellen aus den Vereinigten Staaten zufolge, haben die Terroristen sich des Internet bedient, um verschlüsselte Nachrichten mit vorbereitenden Details über das Attentat zu übermitteln, die durch die Welt geschickt wurden.

Wenig später haben Agenten der Abteilung für Datenstraftaten der Bundespolizei sich darangemacht, E-Mail-Nachrichten, von der islamischen Gemeinde in dem sogenannten Dreiländereck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay zu überwachen, mit dem Zweck der Zusammenarbeit mit den nordamerikanischen Behörden in der Aufklärung des Attentats zusammenzuarbeiten.

Aber die Glaubwürdigkeit der Abteilung für Datenstraftaten der Bundespolizei wurde ernsthaft beschädigt nach ihrem Verhalten voller Unregelmässigkeiten in der Sache des Datenanschlags auf den Obersten Gerichtshof. So sehr, dass die beiden Hauptverantwortlichen der Polizeieinheit von dem damals für den Fall zuständigen Richter, Gustavo Literas, strafrechtlich verfolgt wurden.

Die Nationalgendarmerie bot sich danach in einem vom Staatsanwalt vorgelegten Schreiben an, die Ermittlungen zu übernehmen, was der Richter ablehnte.

Die SIDE ihrerseits, die die Telefonabhörungen in dem Fall beigetragen hatte, organisierte im letzten Oktober ein Seminar über Datensicherheit, für das sie als Vortragende die Anwälte der von der Bundespolizei ermittelten mutmasslichen Hacker unter Vertrag nahm.

Überzogene Einsätze

Fünf Monate später, nach einer Reihe von spektakulären Anerkenntnissen, überzogenen Verhaftungen, angezapften Telefonen, endete der Fall mit dem Freispruch für alle Angeklagten.

"Es ist selbstverständlich, darauf hinzuweisen, dass wir uns in einem klaren legalen Vakuum befinden", verwies Richter Torres in seinem Urteil.

Der Fall wegen des Angriffs auf die Webseite des Obersten Gerichtshofs, der im Januar 1998 stattfand, über den getrennt berichtet wird, hatte keine grossen Neuigkeiten bis Ende 2000, als die neu gegründete Abteilung für Datenkriminalität der Bundespolizei begann, sich des Falles anzunehmen.

Durch Informanten stellten die Ermittler fest, dass Julio López, genannt Wences, der Anführer der Hacker war.

Sie haben die Verschlußsiegel falsch angebracht

Am 19. Januar 2001 wurde López von Interpol in Ezeiza festgenommen, als er von einer Geschäftsreise in die Vereinigten Staaten zurückkehrte. Die Polizei bemächtigte sich seines Gepácks und zweier tragbarer Computer.

Sechs Wochen später begann die Auswertung der Computer und hier fingen die Probleme an. Er Sachverständige, der von López ernannt worden war, Nicolás Fazio, machte den Richter darauf aufmerksam, dass die Verschlußsiegel falsch angebracht waren, weil sie die Eingangsports nicht abdeckten.

Als Antwort darauf nahm die Abteilung für Datenkriminalität Fazio 25 Stunden in Gewahrsam, zog seinen Personalausweis (DNI), eine Visakarte und eine Telefonkarte ein und beschuldigte ihn, gefälschte Dokumente zu benutzen.

Das Unternehmen Visa informierte den Richter, dass die einbehaltene Karte echt war und der Mutter von Fazio gehörte. Die Telefongesellschaft tat dasselbe und die nationale Registrierungsstelle bestätigte die Echtheit des DNI.

Als Fazio diese Unregelmässigkeiten anzeigte, ordnete Richter Literas - im März des vergangenen Jahres - an, dass man gegen den Kommissar Alfredo Castillo un den Unterkommissar Héctor Rodríguez, Leiter und stellvertretender Leiter der Abteilung für Datenkriminalität, wegen der Möglichkeit, dass Straftaten, gegen die Anklage erhoben werden kann, verübt wurden.

Beide wurden in andere Abteilungen der Polizei versetzt und die Abteilung verblieb in der Verantwortung der Nummer drei, des damaligen [polizeilicher Dienstgrad - etwa Hauptwachtmeister], heutigen Unterkommisars Eduardo Santillán.

Von Santiago O'Donnell
von der Redaktion der LA NACION

Was bestraft wurde

Verleumdung: Im Internet zirkulieren E-Mails, die die angeblichen Schäbigkeiten öffentlicher und privater Personen beschreiben. Von dem Ort, an dem ein Ferienhaus steht, das einem Gremiumsmitglied zugeschrieben wird bis zu einer Liste von ehemaligen Angestellten, die Vorzugsrenten kassieren sollen, alles zirkuliert durch elektronische Botschaften zweifelhafter Herkunft. Manche Daten stimmen, andere nicht. Dem Anwalt Antonio Millé zufolge unterscheidet sich die üble Nachrede und Verleumdung per Internet nicht sehr von der durch andere Mittel.

Privatsphäre: Die Verfassung schützt das Briefgeheimnis und die Vertraulichkeit privater Papiere. Laut einem Urteil des Saals 6 der Strafkammer ist die elektronische Post eine weiterentwickelte Form der normalen Post und deshalb auch durch die Verfassung und den Artikel 154 des Strafgesetzbuches, der die ungesetzliche Aneignung eines Briefes oder Poststücks mit bis zu vier Jahren Gefängnis ahndet, geschützt.

Betrug: Der Argentinier Julio Ardita kam zu Ruhm als man herausfand, dass er in die EDV-Systeme der NASA und des Pentagon eingedrungen war. Um dies zu tun, hat er sich des Telefonnetzes Telecom bedient, das er gratis mit gestohlenen Zugangscodes benutzte. "Ardita wurde nicht angeklagt, weil er sich ungesetzlicherweise Zugang zu einem EDV-System verschafft hatte, sondern wegen der Benutzung einer Dienstleistung (Telefon), ohne dafür zu bezahlen, weswegen ausgelegt wurde, dass sein Verhalten den Straftatbestand des Betrugs erfüllen könnte", schrieb Dr. Juan Pablo Gallego in der Zeitschrift "La Ley".

Datenschaden: In Argentinien ist das kein Straftatbestand, aber ein Gesetzesentwurf des Senators Antonio Berhongaray von 1999 schlägt vor, denjenigen, der "ohne ausdrückliche Erlaubnis des Eigentümers eines Computers oder Computersystems und des Eigentümers der Daten, oder der die vereinbarten Grenzen der Erlaubnis übertritt, durch unerlaubten Zugang oder jegliche andere Form, elektronische Daten unbrauchbar oder unzugänglich macht oder ihren Verlust herbeiführt oder zulässt" mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren zu bekämpfen.

Datenpiraterie: Die Computerprogramme, deren illegale Reproduktion durch das Gesetz 11.739 bestraft wird, sind durch das Urhebergesetz geschützt. Das Datenverarbeitungsprogramm wird als Erfindung im Sinne des achten Artikels des Patentgesetzes betrachtet.

Original zu finden auf:
http://www.lanacion.com.ar/02/04/15/dg_388790.asp
und in der Printausgabe:
LA NACION | 15/04/2002 | Página 13 | Inf. General

Link dazu: Argentinier hacken legal auf Telepolis