Unruhen in Ciudad del Este, 10. - 13.09.2001

Liebe Leser,

nachdem ich selbst mehrmals in Panik ausgebrochen bin und auch andere kopfscheu gemacht habe (sorry dafür), nun ein Bericht über das, was hier quasi unbemerkt abgelaufen ist, während die USA einen Terrorakt ohne Beispiel ohnmächtig über sich ergehen lassen mußten.

Wie man im Kommentar der abc color lesen kann, verhungert Ciudad del Este - die Stadt, in der meine Familie und ich leben - seit Jahren langsam, aber sicher. Schuld daran sind mehrere Faktoren - hauptsächlich aber eine extrem restriktive Politik seitens der brasilianischen Regierung, die dem "Tun und Treiben" in Ciudad del Este nicht mehr tatenlos zusehen wollte, zumal sie direkt nach der Währungsreform, die vor sieben Jahren durchgeführt wurde, das erste Mal seit sehr, sehr langem wieder eine stabile Währung hatte (daß das nur so war, weil Brasilien strikte Importverbote ausgesprochen hat und die Währung künstlich hochhielt, steht auf einem anderen Blatt).

Die Politik der Brasilianer führte zu einem langsamen Versickern des Einkaufstourismus, der Hauptlebensader der Einwohner dieser Stadt und somit zur Verarmung des Mittelstands. Die Leute hier haben lange, sehr lange stillgehalten. Für Montag, den 10.09.2001 hatten sich nun Minister aus Asunción angesagt, um an einem Treffen mit den Repräsentanten des Bundeslandes Alto Paraná teilzunehmen und die üblichen Beruhigungsfloskeln von sich zu geben. Die Bevölkerung von Ciudad del Este, die unter den Zuständen, die von der Regierung mitverursacht sind, sehr leidet, hat daraufhin Demonstrationen organisiert, im Rahmen derer die wichtigsten Verkehrsadern und der Zugang zur Brücke der Freundschaft, die Brasilien und Paraguay hier verbindet, zu sperren. Nachdem die Herren Minister davon gehört hatten, verschoben sie zunächst einmal ihre Ankunft von Montag auf Dienstag. Die Demonstrationen am Montag verliefen ungewöhnlich ruhig und friedlich, es wurden Kundgebungen veranstaltet und die Blockade durchgeführt, die der Regierung in Asunción zeigen sollte, daß ein gut Teil der Einkünfte des Landes Paraguay aus dieser Stadt kommen - und was passieren würde, wenn es diesen Zugang zu Brasilien, der für Paraguay lebenswichtig ist, nicht gäbe.

Am Dienstag, den 11.09.2001 kamen die Herren Minister dann und sonderten tatsächlich nur die üblichen Beruhigungsfloskeln ab - man werde über die Vorschläge der Regionalregierung nachdenken, hieß es, und die Entscheidung der Regierung in Asunción werde dann bekanntgegeben. Damit ließ sich der inzwischen recht aufgebrachte Mob leider nicht beruhigen, es flogen Steine und die Minister wurden mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt. Die Demonstration lief völlig aus dem Ruder, Dienstagabend randalierten noch Demonstranten an der Brücke, die als einziger Punkt besetzt blieb.

Am Mittwoch wurde weiterdemonstriert - es sollten die öffentlichen Einrichtungen wie die Telefongesellschaft und das Elektrizitätswerk daran gehindert werden, ihre Einnahmen nach Asunción abzuführen. Die gesamte Stadt war geschlossen, wer seinen Laden öffnete, lief Gefahr, verprügelt zu werden und die Schaufensterscheiben eingeschlagen zu bekommen. Die Nationalpolizei wurde auf den Plan gerufen und das Militär in Alarmbereitschaft versetzt. Am späten Nachmittag kam es dann zu heftigen Auseinandersetzungen. Molotowcocktails und Steine flogen, es wurde geschossen. Entgegen der Berichterstattung im Fernsehen gab es wohl keine Toten, dafür aber zahlreiche Verletzte und einige Verwüstungen im Stadtzentrum.

Auf diesen Druck hin kamen dann die Minister am Donnerstag noch einmal nach Ciudad del Este, um ernsthafte Verhandlungen mit der Regionalregierung zu führen. Und, oh Wunder: Sie haben nachgegeben! In Ciudad del Este wird also das Leben in Zukunft erträglicher und das Geldverdienen wieder etwas leichter werden. Im Moment feiert die Stadt. Wären die Herren aus Asunción nicht zur Einsicht gelangt, hätten wir jetzt bürgerkriegsartige Zustände - und wir haben alle genug Angst gehabt. Meine Hoffnung ist, daß diese Stadt jetzt wieder friedlich und freundlich wird, und die Wut, die die Menschen hier völlig zurecht im Bauch hatten, sich in energisches Handeln für den Neuanfang für diese Stadt umwandeln läßt.

Berichterstattung in paraguayischen Medien: