Vorwort

Bevor hier irgendjemand zu lesen anfängt, möchte ich darauf hinweisen, daß ich in vielen Dingen maßlos übertreibe, mehrere Personen zu einer vereinige und so einfach eine Geschichte schreibe. Ich bin keine Journalistin, mein Ziel ist es, meine Mitmenschen zu unterhalten und ihnen so einige angenehme Stunden zu bereiten. Wer also auswandern möchte und hier Informationen sucht, wird nur sehr begrenzt zufrieden seine Lektüre beenden. Wenn sich unter meinen Lesern ein solcher Mensch befindet, möge er mir eine Mail schicken und konkrete Fragen stellen, dann wird er sicherlich die Information erhalten, die er braucht.
©Astrid Steinmann

(Aus-)Wanderer, kommst du nach Paraguay...

Nichts wie weg hier!

Vor ungefähr viereinhalb Jahren beschlossen wir (mein Mann Detlef und ich), nach Paraguay auszuwandern. Der Entschluß scheint ungewöhnlicher, als er ist, denn meine Eltern haben eine Art Feriendomizil hier und mein Bruder lebt schon seit knapp fünfzehn Jahren in Paraguay. Die Ortswahl kann daher nicht überraschend sein, höchstens der Entschluß als solcher. Wie wir dazugekommen sind? Oh, höchst einfach: Als wir noch in Deutschland lebten, haben wir jeden Monat ungefähr zweihundert Mark von unserem sauer Ersparten abheben müssen, um unsere Kosten zu decken. Als uns richtig klar wurde, daß ein Ende abzusehen war und wir keine Ahnung hatten, wie wir jemals dahin kommen sollten, daß sich dieser Zustand ändere, haben wir uns überlegt, welche Möglichkeiten uns bleiben. Paraguay schien uns die einzig akzeptable Möglichkeit zu sein, also haben wir in der Weihnachtszeit  beschlossen, auszuwandern.

Wenn man einmal solch eine Entscheidung fällt, muß man natürlich einiges vorbereiten. Wir haben damit angefangen, unsere Sachen durchzusehen und die Klamotten, die wir nicht mehr zu brauchen meinten, einer höchst wohltätigen Organisation in die Hand zu drücken. Dann haben wir Karton für Karton (mein zehnter Umzug!) eingepackt und hochdetaillierte Listen dazu geschrieben. Jedes auch noch so kleine Babysöckchen (unser großer Sohn war damals nicht ganz ein Jahr alt) mußte aufgeführt werden.

Dann kam die „Kiste“. Hierbei handelte es sich um eine Seekiste, die der geübte Seefahrt-Filmkonsument als handliches Format in Erinnerung hat. Wie groß wird eine Seekiste schon sein? Vielleicht so achtzig Zentimeter lang, sechzig tief und, wenn’s viel ist, fünfzig Zentimeter hoch. Aus einem feinen Edelhölzchen, dickwandig, auf Hochglanz poliert und liebevoll gepflegt, im Inneren einige Wertgegenstände, Bücher, derartiges. Von wegen! Unsere Seekiste hatte die Abmaße eines mittleren Umzugslasters, war aus rohem Fichtenholz und ihr Inhalt bestand aus unserer beweglichen Habe. Als da sind: Kleidung, eine Waschmaschine, ein Wäschetrockner, die Stereoanlage (schließlich zieht man ja in die dritte Welt!), ein IKEA-Regal (Typ NIKLAS), unser sämtliches Geschirr, Bücher, und, und, und. Oh, Himmel, wenn wir es doch besser gewußt hätten! Jedem, der sich mit dem Gedanken trägt, nach Paraguay auszuwandern, sei es hiermit gesagt: Es gibt in Paraguay Waschmaschinen, Wäschetrockner, Stereoanlagen (besonders die!), Haarföne, Friteusen, und was das Europäerherz sonst so begehrt durchaus zu einem vernünftigen Preis zu kaufen. Auch so exotische Dinge wie etwa einen Mikrowellenherd oder gar einen Computer (ob nun no-name, IBM, Acer oder was auch immer) kann man hier käuflich erwerben. Von Elektroherden, die es ebenfalls gibt, rate ich derzeit noch dringend ab, denn hierzulande fällt, vor allen Dingen während und nach Gewittern, der Strom öfter mal aus, so daß die Küche in diesen Fällen gezwungenermaßen kalt bleibt. Das ist vor allen Dingen im Winter höchst unangenehm, aber jetzt wollen wir diesen Vorgriff mal beenden, denn schließlich sind mein Mann, mein Sohn und ich in dieser Geschichte noch nicht einmal auf dem Weg nach Paraguay.

Diese besagte Kiste haben wir dann vermittels einer internationalen Spedition von Rang und Namen an einem schönen Tag Ende Mai auf den Seeweg nach Paraguay gebracht. Dieser Sorge enthoben, haben wir das, was noch verblieb, verkauft, verhökert, verschenkt und versperrmüllt. Den ersten Geburtstag meines Sohnes Christoph haben wir auf einem zusammengerollten Teppich gefeiert und am Tage darauf sind wir – getrennt – zu meiner Schwester gefahren. Mein Mann mit Freunden von uns im Kleinlaster, an Bord die Möbel, die meine Schwester Heike und ihr Mann Reinhard uns „abgekauft“ hatten (will heißen, sie haben uns eine astronomische Summe bezahlt, die wir im Leben von niemand anderem bekommen hätten, weil sie wußten, daß wir dringend Geld brauchten) und ich setzte mich mit meinem kleinen Christoph in die Deutsche Bundesbahn. Am Zug gab es einen tränenreichen Abschied von meinen Schwiegereltern, die ihr Enkelchen heiß lieben (mich weniger, aber wer kann sich schon seine Schwiegertochter aussuchen) und dann waren wir allein, mein Sohn und ich. Christoph durfte auf dieser Reise feststellen, daß Zugfahren zu seinen Leidenschaften zählt, weil man da alles darf: Zwieback zerbröseln, mit der Flasche ‘rumtröpfeln, unter den Sitzen herumkrabbeln und darauf hüpfen, quengeln, quieken, schreien, toben. Und Mami kann nicht weg! Hurra! Das waren wahrlich die anstrengendsten fünf Stunden meines Lebens.

Wir blieben dann eine Woche bei meiner Schwester und ihrer Familie. Unser Flug ging am 5. Juni ziemlich spät abends, so daß Heike und Reinhard uns gemeinsam zum Flughafen brachten (sie wohnen relativ nah bei Frankfurt) und uns dann am Gate verabschiedeten. Wir hatten alle einen dicken Kloß im Hals, weil wir wußten, daß wir uns wohl für einige Jahre nicht wiedersehen würden. An Bord des Flugzeugs kam eine unangenehme Überraschung. Eigentlich hatte ich mit dem netten Menschen von der Airline besprochen, daß wir Plätze in der ersten Reihe bekommen, wo die Möglichkeit besteht, eine Art Kinderbettchen vor den Sitzen einzuhängen, so daß unser Kleiner nicht die ganze Zeit auf unserem Schoß sitzen muß. Die Percerette sagte allerdings, daß dies aus technischen Gründen (über diesen Sitzen fehlte eine Sauerstoffmaske) nicht möglich sei. So hatten wir denn Aussicht auf einen 16-Stunden-Flug mit Baby auf dem Schoß und Blick auf die (leeren) Plätze, die wir eigentlich hätten haben wollen. Nach etwa einer halben Stunde hatte die Percerette ein Einsehen. Sie sagte, wenn es nötig sei, daß wir Sauerstoffmasken haben müßten, solle ich über den Gang nach rechts greifen und mir die dort herabfallende Maske greifen. Was ich auch getan hätte, wenn es nötig geworden wäre. Aber, Lufthansa, oh, Lufthansa, wider Erwarten ging alles gut.

Der nächste Stop war schon Saõ Paulo. Brasilien. Hmmmm! Schöne, warme, weiche Luft, ein ganz anderer Geruch, ganz andere Menschen. In Brasilien spricht man portugiesisch. Nun bin ich des Spanischen durchaus mächtig, war ja schon vor Jahren mal etwas über ein Jahr lang in Paraguay gewesen, aber mein Portugiesisch war zu dieser Zeit sozusagen nicht existent. Dazu kommt erschwerend, daß ich selbstverständlich jederzeit jede Handelskorrespondenz führen kann, jedoch noch nie in einem anderen Land als Deutschland die Windeln meines Sohnes wechseln mußte. Und genau das war jetzt mehr als nötig. Dunkle Erinnerungen an Wörter, die mit häuslicher Hygiene zu tun haben, durchzogen mein vom langen Flug etwas vernebeltes Gedächtnis, und so kam es, daß ich die freundliche Dame am Informationsschalter, die sicherlich englisch konnte (aber das kam mir natürlich nicht in den Sinn, außerdem war mir zu dem Zeitpunkt auch das englische Wort für „Windel“ nicht bekannt), auf Spanisch fragte, wo ich denn meinem Sohn die Bettücher wechseln könne. Die Gute war unverständlicherweise ziemlich verwirrt, bis ich ihr das Kind und die naßgepiselten Hosen zeigte. Daraufhin wies sie mir – selbstverständlich auf portugiesisch – den Weg zu einer sanitären Einrichtung mit Wickeltisch, die wir dann auch unter Zuhilfenahme unserer ausgeprägten Phantasie glücklich fanden. Nachdem wir also ein frisches Kind hatten und alle putzmunter waren, wollten wir etwas essen. Ich weiß nicht, was für ein Trieb es ist, der den Menschen bei der Ankunft an Orten, die ihm unbekannt sind, als erstes an die Futterkrippe treibt. Wir hatten im Flugzeug ein absolut ausreichendes Frühstück zu uns genommen und hätten ohne weiteres satt sein dürfen, aber wir wollten einfach etwas essen. Das Flughafenrestaurant war noch geschlossen (es war ja noch recht früh) aber eben derselbe Instinkt, der das Hungergefühl auslöst, führte uns auf unserer Runde durch den Flughafen auf den Pfad heimatlicher Gerüche: Am Flughafen von Saõ Paulo gibt es einen Mc Dingsda. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Fastfood gehabt und auch die liebe Familie war begeistert. Also nichts wie ‘rein und Hamburger und Milchshakes besorgt. In diesem Lokal saßen einige junge Leute, Männlein wie auch Weiblein, vielleicht zwischen 16 und 18 Jahren, älter bestimmt nicht. Und so konnten wir erstaunt ein Phänomen zur Kenntnis nehmen, das sich über ganz Südamerika erstreckt: Kinder sind der Mittelpunkt des Lebens! Diese Jugendlichen, deren Altersgenossen in Deutschland sich höchstens am Rande für Kinder interessieren, fingen an, mit Christoph zu „flirten“. Und unser charmanter kleiner Junge stieg natürlich sofort darauf ein. Er warf seinen Schnuller durch die Gegend, die jungen Leute brachten ihn wieder zurück. Er brabbelte vor sich hin, sie gaben Antwort. Wir brauchten uns um nichts zu kümmern und vor allen anderen Dingen nicht, wie wir’s von Deutschland her gewohnt waren, dafür zu sorgen, daß man unser Kind sehen, aber nicht hören konnte. Eine absolut ungewohnte, aber sehr schöne Erfahrung.

Nach diesem höchst angenehmen Zwischenspiel begaben wir uns dann auf den Weg zu unserem Flug nach Foz do Iguaçu. Diesmal war’s natürlich eine brasilianische Airline, die uns unserem Ziel näherbrachte und der Flug fand bei Tag statt, sehr zu Detlefs Freude, denn dies war seine erste Flugreise und er hätte es sehr bedauerlich gefunden, nichts davon zu sehen. Auch hier begegnete uns wieder das Kinder-sind-hochwilkommen-Phänomen, die Stewardessen verwöhnten Christoph nach Strich und Faden.

Bevor wir in Foz landeten, flog der Kapitän, weil das Wetter so schön war und der Wind aus der richtigen Richtung kam, noch eine Schleife über den Wasserfällen, ein Erlebnis, das Detlef und Christoph in vollen Zügen genossen. Ich sah uns jede Sekunde im Abgrund landen, was meine Freude an dem wirklich überwältigenden Anblick geringfügig trübte; aber der Kapitän wußte selbstverständlich, was er tat und so landeten wir einige Minuten später wohlbehalten auf dem Flughafen von Foz. Dort warteten bereits meine Eltern, um uns abzuholen.

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