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Es gibt auch Verkehrsregeln. Diese werden durch eine Umfrage der besonderen Art ermittelt: Jeder, der eines Führerscheins teilhaftig werden möchte, geht zur nächstgelegenen Stadtverwaltung, die für diese Dinge zuständig ist. Dort bekommt er einen fotokopierten Fragebogen vorgelegt, auf dem viele hübsche Bilder zu sehen, aber leider aufgrund des häufigen Kopierens von Kopien kaum zu erkennen sind. Hier darf er dann angeben, was seiner Ansicht nach die Verkehrszeichen bedeuten sollen. Am Ende eines langen Jahres wird dann aufgrund der Auswertung dieser Fragebogen die Bedeutung von Verkehrszeichen festgelegt. Jedenfalls scheint es mir so, denn ich habe es noch nie erlebt, daß hier irgendjemand keinen Führerschein bekommen hätte. Grundsätzlich wird nur gefragt, zu welchem Zweck man den Lappen haben möchte (privat, Taxifahren, LKW-Fahren, Schultransporte, etc.). Danach, nach dem Akzent des Antragstellers und dem Fahrzeug, in dem er vorgefahren ist, richtet sich dann die Gebühr. Entsprechend chaotisch ist der Verkehr auf den Straßen. Grundsätzlich gilt: Die Überholspur ist rechts! Das heißt nun keinesfalls, daß die Lenkräder auf der rechten Seite des Fahrzeugs eingebaut sind, es ist nur praktischer, denn die meisten doppelspurigen Straßen hier haben einen Grünstreifen in der Mitte, der unterbrochen ist, wo man links abbiegen darf. Wenn gerade Gegenverkehr kommt, bleibt man stehen, so daß spätestens das dritte Auto, das nach links will, mitten auf der linken Fahrbahn steht. Blinken braucht man hier nicht. Wenn ein Auto eine solche Einrichtung hat und sie auch noch funktioniert, wird sie im äußersten Fall zur Warnung verwendet. Ist auch besser so, denn automatisch zurückspringen tut hier selten mal ein Blinker, so daß, wenn tatsächlich ein Verkehrsteilnehmer daran denkt, ihn zu benutzen, er das garantiert sofort nach dem Abbiegen vergißt und somit die nächste halbe Stunde blinkend durch die Lande fährt. Überholen ist ein Sport, außerdem muß man möglichst immer schneller sein, als derjenige, der vor einem fährt. Das ist uns Deutschen nichts Neues, jedoch werden wir im Allgemeinen noch durch die Angst vor der Polizei im Zaume gehalten. Hier ist das nicht so sehr nötig, Kontrollen gibt es so gut wie nie.

Wenn man dann glücklich alle verkehrstechnischen Klippen umschifft hat und in der Stadt angelangt ist, braucht man einen Parkplatz. Bis vor kurzem war es noch besser, einfach auf einen der bewachten Parkplätze zu fahren, was zwar teuer ist aber doch sehr zur Beulenvermeidung beitrug. Inzwischen hat uns die moderne Welt eingeholt und es gibt Parkuhren in Ciudad del Este. Um diese benutzen zu können, braucht man ein gelb-rotes Kärtchen, den deutschen Telefonkarten wie aus dem Gesicht geschitten, die man von mehr oder weniger finsteren Gestalten am Straßenrand kaufen kann. Diese Leute sind durch straßenarbeiterneonrote Westen gekennzeichnet, auf deren Rücken normalerweise steht, daß sie zum Verkauf berechtigt sind. Manchmal haben die Westen allerdings auch unter den Waschgepflogenheiten gelitten,dann kann man mit Glück und Phantasie noch sehen, daß da mal etwas geschrieben stand. Diese hilfreichen Menschen weihen den ungeübten Autofahrer auch in die Benutzungstechnik der Parkuhren ein und wenn der Herr des Wagens sich verspätet, „laden“ sie auch nach. Das ist der Nebenbei-Verdienst. Wenn sie es nicht tun, und sie tun es nicht, wenn der Besitzer des Wagens sie geärgert hat, wird von der Parkuhrenbetreiber-Firma eine „Kralle” an das rechte Vorderrad montiert, damit der säumige Klient auch bleibt und die 100.000 Guaranies (umgerechnet etwa 83 DM) Strafe bezahlt, die dann fällig werden. Was sind da schon die 40 bis 80 Pfennig, die man für’s Nachladen bezahlt! Dadurch ist die optimale Ausnutzung des in der Stadt vorhandenen Parkraums gewährleistet. Die Kartenverkäufer sorgen auch freundlicherweise dafür, daß niemand in der zweiten Reihe parkt, was vorher gang und gäbe war und für ein Verkehrschaos erster Ordnung gesorgt hat. Abgesehen von den hilfreichen Kartenverkäufern sind an strategisch günstigen Punkten noch kleine Jungs postiert, im Alter von etwa acht bis etwa fünfzehn Jahren. Sobald das Fahrzeug steht und der Fahrer mit oder ohne Hilfe seine Parkuhr betätigt hat, kommen sie in Scharen und erklären, sie wollten auf das Auto aufpassen oder es waschen. Waschen lassen würde ich sie es nicht, denn die Kerle sind begabt und nach diesen Arbeiten befindet sich meistens ein neuer Kratzer im Lack. Aufpassen können sie ruhig, obwohl sie es normalerweise nicht tun. Mein Mann spricht hier immer von moderner Wegelagerei, aber solange das so billig ist (durchschnittlich bekommt so ein Junge 40 Pfennige für das „Aufpassen“), sehe ich nicht ein, warum ich ihnen das Geld nicht geben soll. Wenn jetzt jemand wissen will, warum die nicht in der Schule sind: Hierzulande funktionieren die Schulen im Schichtbetrieb, die erste geht von 07.00 Uhr bis 11.00 Uhr, die zweite fängt um 13.00 Uhr an und ist um 17.00 Uhr zu Ende, und die letzte, die es nur für die älteren Schüler gibt (ab 7. Klasse), geht von 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr. An Universitäten wird grundsätzlich nur abends (oder sollte man besser sagen: Nachts?) unterrichtet. Hier geht der Unterricht dann auch schon mal bis 23.00 Uhr.

Umweltverschmutzung, Müll, Dreck

Womit die Leute hier wirklich großzügig umgehen, ist der Müll. Traurig, aber wahr, unsere europäischen Methoden der Müllvermeidung, -trennung und -aufbewahrung sind hierzulande schlicht unbekannt. Hausmüll (selbstverständlich auch die Plastiktüten aus dem Supermarkt!) wird zunächst in eigens dafür gekaufte schwarze Plastiktüten  und anschließend in große schwarze Säcke verpackt. Diese Säcke kommen dann in einen Metallkorb, der auf einem etwa anderthalb Meter langen Stahlrohr-Bein vor der Tür steht. Das ist nötig, damit die hierzulande zahlreich vorhandenen Straßenköter nicht drankommen und die schönen Säcke zerfetzen. So zerfetzen halt die Katzen die Säcke - sie richten nicht ganz so viel Unheil an. Überhaupt: Plastiktüten! Wenn man in die Apotheke geht und ein Tübchen oder Töpfchen oder Schächtelchen kauft, das man dreimal in der Hosentasche verstauen kann, ohne daß es auffällt, kriegt man jedesmal eine von diesen winzigen Plastitktüten dazu, damit man sich bloß die Hose nicht an der Schachtel schmutzig macht. Und so geht das überall weiter – in der Videothek, im Supermarkt, im Zigarrettenladen, wo auch immer. Für alles und jedes gibt‘s Plastiktüten. Andererseits gibt es hier Leute, die  Pappe (bzw. Kartons), Styropor und Weißblech getrennt einsammeln. Deshalb muß man furchtbar aufpassen, wenn man Papierabfall in einen Pappkarton verpackt zur Müllabholung in seinen Müllkorb stellt. Meistens kommen nämlich diese hilfreichen Mitmenschen, verteilen das Papier großzügig über die Straße und nehmen den Karton mit.

Der Hausmüll wird auf irgendeinem leicht erreichbaren Grundstück abgeladen, das zwar einen Eigentümer hat (aber bestimmt nicht die Stadt), um das sich aber keiner kümmert. Wenn dann der Eigentümer fünf Jahre später zu bauen anfangen will, erlebt er eine kleine Überraschung, falls er ein Fundament oder gar einen Keller unter seiner zukünftigen Behausung wünscht. Selber schuld! Wenn man ein Grundstück hat, muß man es auch pflegen, sonst kommen andere und „pflegen“ es.

Fallenlassen ist eine Disziplin, die die Leute hier einfach brilliant beherrschen. Eine Mutter packt das Bonbon für ihr Kind aus, gibt dem Kind das Bonbon und läßt in derselben Bewegung das Papier zu Boden fallen. Man sieht noch nicht einmal, wie es aus ihrer Hand gleitet. Wer sehen will, wie eine Blechdose völlig lautlos den Weg zur Erde findet, komme her, hier kann man das sehen. Wir sind ja aus Deutschland das Bild gewohnt, daß an jeder Straßenecke und ganz bestimmt jeder Bushaltestelle eine von diesen orangefarbenen Häßlichkeiten aufgehängt ist, die sich „städtische Mülleimer” schimpfen. Hier brauchen wir sowas nicht. Einerseits ist die gesamte Straße eine einzige Bushaltestelle, andererseits auch ein riesiger Mülleimer; gut, inzwischen habe ich bereits 3 tarngrün gestrichene städtische Mülleimer in Ciudad del Este gesichtet. Ist aber nicht so wichtig, weil die nur dazu da sind, daß man sich auf den vollgepfropften Straßen Beulen holt. Ciudad del Este ist nur einmal am Tag sauber: In der halben Stunde, die es dauert, bis die Touristenhorden hier wieder hereindrängen, nachdem die Müllabfuhr und die Straßenreinigung (die die ganze Nacht durcharbeiten) das Feld geräumt haben. Also etwa zwischen halb fünf und fünf Uhr morgens.

Am Grenzübergang bietet sich dem aufmerksamen Betrachter immer wieder dasselbe, höchst interessante Bild: Die Touristenbusse kommen über die Brücke, passieren den Zoll, rollen auf die ersten sechs Zentimeter Stadt und es öffnen sich sämtliche Busfenster. Heraus fliegen Papier, Plastik- und Pappbecher, Plastik- und Glasflaschen, Plastiktüten, Obst- und Eierschalen, Brotrinden, Steuerbescheide, Liebesbriefe, und, und, und. Unglaublich, aber wahr. Die Brasilianer sind nämlich per Gesetz gezwungen, ihr eigenes Land sauberzuhalten. Wer dort ein Papierchen fallen läßt, muß damit rechnen, daß er ein – ganz schön happiges – Bußgeld zahlen muß. Folglich lassen sie bei Grenzüberschreitung erstmal so richtig die Sau ‘raus, im wahren Sinne des Wortes. In Kombination mit der hiesigen Gelassenheit gegenüber Schmutz und Müll hat das verheerende Auswirkungen auf Straßen und Gehwege.

Handel und Wandel

Ciudad del Este lebt vom Einkaufstourismus. Kurios, aber wahr, es gibt hier wirklich alles. Vor allen Dingen auf dem Unterhaltungselektroniksektor kann man alles bekommen. Hier gibt es vom Walkman bis zur Stereoanlange, vom Minifernseher mit eingebautem Radio bis zur Heimkinoleinwand mit einem Meter fünfzig Bildschirmdiagonale, vom Taschenrechner bis zum Internet-und-Intranet-Server (schon mal was vom Cobalt-Cube gehört?) alles, aber auch wirklich alles zu kaufen. Die niedrigeren Qualitätsstufen sind leichter zu haben, ganz klar, damit wird der Umsatz gemacht, aber es ist durchaus auch möglich, daß man hier mal einem BEO-Center über den Weg läuft. Hier muß man eigentlich nur warten können, wenn man etwas bestimmtes will, denn das kommt unter Garantie irgendwann in die Läden. Das Importieren von Waren nach Paraguay ist relativ kompliziert, aber, im Verhältnis zu Brasilien gesehen, billig. Folglich sind Waren jeder Sorte hier zwischen 20 und 50% billiger. Also kommen ungeheuer viele Besitzer von kleinen und mittleren Geschäften aus Brasilien hierher und kaufen ein, was das Zeug hält. Die Straßen von Ciudad del Este sind voll von Brasilianern die Einkaufstaschen mit einem Fassungsvermögen von mindestens 100 l umgehängt haben und hier hauptsächlich Kleidung, Elektronikteile, minderwertiges Spielzeug (beispielsweise gefälschtes LEGO oder gefälschte Barbiepuppen), raubkopierte CD‘s und so weiter  und so fort kaufen. Computerprogramme jeder Art und Güte, Windows, Office, CorelDraw, Adobe, CAD, Novell NetWare, was auch sonst immer kosten hier selten mehr als 30 US$ und sind auf einer CD im Sammelpack, meistens zusammen mit einem ganzen Haufen Ballerspiele zu haben. Selbstverständlich macht sich niemand die Mühe, die Handbücher zu kopieren, weswegen sich die Copyright-Inhaber für diese Programme auch keine Gedanken machen müssen: Kaufen kann man alles, allerdings kann kaum jemand auch wirklich etwas damit anfangen, denn wie weit man nur mit der Online-Hilfe kommt, wissen wir ja alle, nicht wahr? Ärgerlich ist nur, daß man genau deshalb wirklich Probleme hat, auch eine Originalversion zu bekommen, selbst wenn man bereit ist, den wesentlich höheren Preis dafür zu bezahlen. Paraguay steht nämlich eben der vielen Raubkopien wegen auf der Liste der Länder, in die nach Möglichkeit keine Originalversionen geliefert werden sollten.

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