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Danach kam dann endlich das Frühstück: Eine riesige Tasse Milch mit Kaffee als Geschmacksgeber und reichlich Zucker. Dazu einige trockene Kekse. Toll! Und davon soll eine hungrige frische Mutter jetzt satt werden! Naja, ich ließ mir dieses alles schmecken und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Das erste, was kam, war Schlaf. Als ich aufwachte, mußte ich feststellen, daß ich wohl doch mal langsam mein Kind stillen müßte. Also rief ich das Stationszimmer an und begehrte zu wissen, wo denn mein Kind sei und was es täte. „Dein Kind ist hier und es schläft wie ein kleines Engelchen!“ Tja, meinte ich,dann würden wir es wohl wecken müssen, denn es wäre eine Mahlzeit fällig. Minuten später war Benni da und wurde an die Brust gelegt. Er trank, wenn auch nicht so, wie ich es von Christoph her gewohnt gewesen war. Dann kaute er auf der Brustwarze herum. Die Schwester, die sich das alles schweigend angesehen hatte, meinte, meine Brustwarzen wären wohl nicht zum Stillen geeignet. Gereitzt, wie ich war, fragte ich sie, wie ich, nach ihrer Meinung, wohl meinen großen Sohn sechs Monate lang gestillt hätte. Sie war beleidigt. Ich kann’s ja verstehen. Daraufhin bekam ich, wenn ich stillen wollte, regelmäßig die Auskunft, daß mein Sohn gerade eben sein Fläschchen bekommen habe und jetzt schliefe wie ein Engelchen. Ob meine Brüste nun platzten oder nicht, war den Damen ziemlich egal, Hauptsache, sie hatten dieses niedliche Kind auf dem Arm. Mein lieber Detlef ließ sich erst am Nachmittag sehen, denn er wußte nicht so recht, was er die ganze Zeit hätte für mich tun sollen. Ich hätte ihm ohne weiteres sagen können, was er hätte tun sollen: Kämpfen! Dafür, daß ich mein Kind stillen dürfe, dafür das diese dösigen Krankenschwestern einsähen, daß ich eine europäische Mutter bin und folglich nicht blaß und durchsichtig in die Kissen zurücksinken wollte. Detlefs reichlich spätes Erscheinen handelte ihm jedenfalls ziemlich böse Blicke der Krankenschwestern ein. Ein frischgebackener Vater gehört hierzulande gefälligst ans Bett seiner Frau, komme, was da wolle. Nachdem ich, wenn auch aus völlig anderen Gründen, mit den Damen völlig einer Meinung war, quittierte ich dieses alles mit einem frechen Grinsen. Meine Eltern kamen dann auch, zusammen mit Christoph, der sehr staunte, daß sein kleiner Bruder so winzig sei. Späterhin gab er bekannt, daß ich ins Krankenhaus gegangen sei, um mir ein Baby zu kaufen. Er war noch nicht einmal drei Jahre alt und wir waren nicht in der Lage gewesen, ihm klarzumachen, daß in meinem dicken Bauch ein Baby wächst. Auf jeden Fall hatte er so die Lacher auf seiner Seite.

Am darauffolgenden Tag, es war ein Montag, wurden wir entlassen. Gottseidank, ich kann Krankenhäuser nämlich nicht leiden. Zuhause gewöhnte Benni sich dann an einen vernünftigen Stillturnus, so daß er doch drei Monate lang Brustfutter bekommen konnte, dann stillte ich ab. Christoph war eifersüchtig bis dorthinaus und ich hielt es nicht mehr aus. Aber ich habe immerhin diese dämliche Schwester Lügen gestraft!

Die Bewältigung des täglichen Lebens

Auch der abenteuerlustigste Auswanderer kann nicht ohne tägliche Routine auskommen. Arbeit macht bekanntlich das Leben süß, deshalb gibt es davon hier reichlich und schlecht bezahlt wird sie obendrein. Jedenfalls wenn man Europäer ist und sich an einen gewissen Standard gewöhnt hat. Also fängt das Drama bereits beim Einkauf an. Eigentlich sollte man meinen, daß in den Subtropen Obst und Gemüse einerseits reichlich vorhanden und andererseits recht preiswert sein sollten. Das ist ein ausgesprochener Irrtum. Der Paraguayer an sich kennt folgende Grundnahrungsmittel: 1. Fleisch, 2. Fleisch, 3. Fleisch, 4. Maniok (eine Wurzel, die, wenn zunächst mehrere Stunden lang gekocht und anschließend ähnlich wie Bratkartoffeln zubereitet, ausgesprochen schmackhaft ist, auf die Dauer aber etwas langweilig), 5. Mais, 6. paraguayischer Käse, der sehr blaß aussieht und in der Hauptsache nach Hefe schmeckt. Ansonsten reichlich Salz und noch reichlicher Fett. Gemüse wird mit äußerstem Mißtrauen betrachtet, Gewürze, vor allen Dingen Pfeffer, sind schädlich, als Obst kann man notfalls noch, wenn wirklich kein Fleisch da ist, Bananen, Orangen und Guaven zu sich nehmen. Vielleicht, in Ausnahmefällen, noch eine Avocado, aber davon gibt es ja so leicht Diarrhö (wer nicht weiß, was das ist, möge es im Lexikon nachschlagen). Entsprechend variabel sehen die Nationalgerichte aus. Da gibt es Sopa Paraguaya, die irritierenderweise ein fester, ziemlich fettiger und ebenso trockener Maiskuchen ist, Chipa Guazú, das ist etwas ähnliches, nur durch Zugabe von Eiern um einiges saftiger, Empanadas, das sind Teigtaschen, die wahlweise mit gekochtem Schinken und Käse, einer Hackfleischmischung, Mais oder Huhn gefüllt sind, diverse Gerichte aus gekochtem Fleisch, darunter Soyo, das eine Hackfleischsuppe ist, die aussieht, als hätte sie bereits jemand gegessen, allerdings weitaus besser schmeckt, und, das wichtigste in der paraguayischen Küche: Asado, also gegrilltes Fleisch (Kommentar meines Vaters: „Sie haben die Wahl zwischen Fett und Brand.“). Entsprechend sind natürlich auch die Supermärkte sortiert. So exotische Dinge wie Broccoli, Blumenkohl, Lauch, Spinat und Paprika sind hier elend teuer. Ganz normale Salatgurken waren hier lange Zeit überhaupt nicht zu kriegen, bis die ersten Kümmerlinge in die Läden kamen, kaum zwei Finger dick und vielleicht anderthalb mal meine Hand lang. Käse mit Geschmack ist ganz einfach unbezahlbar, ebenso wie Gewürze. Mango, Papaya, Sharonfrüchte, Feigen, Datteln (frisch oder getrocknet), und überhaupt die meisten Tropenfrüchte abgesehen von Bananen, Orangen und Limonen sind sicher ebenso teuer wie in Deutschland, wenn nicht teuerer. Fisch (als ob wir nicht den Paraná vor der Tür hätten) erzielt hier ebenso Höchstpreise, von Meeresfrüchten mal gar nicht zu reden. Vollwertköstler fristen hier ein trauriges Dasein: An Sprossen gibt‘s nur Soja, eine Sorte Vollkornnudeln und Vollkornmehl von Hafer oder Weizen („Roggenmehl? Was ist Roggenmehl?“). In Deutschland habe ich als wohlerzogene Hausfrau jede Woche zuhause einen Speiseplan aufgestellt, damit ich nicht jeden Tag darüber nachdenken mußte, was ich wohl kochen könnte und danach habe ich dann eine Einkaufsliste geschrieben. Das konnte ich hier vergessen. In Paraguay lebt man von einem Tag zum nächsten, Vorratshaltung ist eine Vokabel, die schlicht nicht existiert. Folglich mache ich heutzutage meinen Speiseplan im Supermarkt, immer nach dem, was es gerade zu kaufen gibt. Das führt zu ausgesprochen interessanten Gerichten, ich bin froh, daß ich bereits mit etwas Übung im Kochen und einem guten Gedächtnis gesegnet hier angekommen bin, so daß ich beim Anblick der Gemüseabteilungen unserer Supermärkte nicht mehr halbwegs in Ohnmacht falle.

Wenn man jetzt also die Familie abgefüttert hat, muß man sich selbstverständlich anziehen. Das bedeutet, daß man auch Kleidung kaufen muß und somit den nächsten Akt im Drama. Ciudad del Este ist eine Stadt, in der es so gut wie jede Markenfälschung gibt. Dieselbe Kleidung, die man in irgendwelchen eleganten Galerien für viel Geld teuer erwerben kann, kann man auch für wesentlich weniger Geld an viel weniger eleganten Tischen, mit denen die Bürgersteige im Stadtzentrum vollgestellt sind, bekommen. Hemden jeder Marke (denn das ist ja wirklich nur eine Frage des Stickprogramms einer guten Nähmaschine), die das Herz begehrt, werden hier für zwischen 15.000 und 20.000 Guaranies (umgerechnet etwa zwischen 12,50 und 16,-- DM) feilgeboten. Hosen sind im Schnitt 20% teuerer. Schuhe sind, wenn man die richtige Größe hat (Damen zwischen 36 und 40, Herren bis zu 45) spottbillig. Wenn man nicht die richtige Größe hat, wie ich zum Beispiel, die ich mit Schuhgröße 43 geschlagen bin, gibt‘s selten mal anständige Fußbekleidung und wenn es welche gibt, muß man zugreifen, egal, welche Farbe oder Absatzhöhe. Wenn es College-Schuhe sein sollen, muß man eben auf Herrenschuhe zurückgreifen. Für Kinder gibt es absolut alles und das auch zu vernünftigen Preisen, gottseidank. Haltbarkeit darf man grundsätzlich nicht erwarten. Egal, wo man die Sachen kauft, sie fallen normalerweise nach spätestens einem halben Jahr auseinander. Das hat seinen Grund nicht nur in der mangelhaften Qualität der Kleidung, sondern auch darin, daß es hier wesentlich wärmer ist als in Deutschland und man sich hier im Sommer mindestens dreimal am Tag umzieht. Folglich wird Kleidung hier viel häufiger gewaschen und da wir hier noch nicht so weit sind, daß Umweltschutz groß geschrieben wird, ist in den Waschmitteln natürlich alles mögliche.

Verkehrschaos

So, jetzt sind wir satt und angezogen, also können wir aus dem Haus. Das bedeutet Verkehr, und nun, lieber Leser, lehne dich bequem zurück, denn der paraguayische Verkehr ist eine ausführliche Würdigung wert. Fangen wir bei den Fahrzeugen an. So segensreiche Einrichtungen wie den TÜV gibt es hier nicht. Wir haben in Deutschland wirklich gewaltig geflucht, wenn die Ingenieure wieder mal was zu bemängeln hatten. Wenn hier einer hinkommt, fällt er tot um. Ein Fahrzeug ist hierzulande ein jedes Ding, das mittels irgendeines Antriebs in Bewegung zu setzen ist. Beleuchtung ist, nachdem ja die Straßen alle mit Lampen versehen sind (die zwar selten funktionieren, aber immerhin sind sie da), höchst unnötig. Nach vorn will man nachts etwas sehen, deshalb funktioniert an fast allen Vehikeln hier mindestens ein Scheinwerfer, nach hinten braucht man nichts sehen, folglich gehen die Rücklichter nicht. Einen Motor braucht ein jedes Auto, das ist ganz klar. Daß er nun unbedingt mit der Karrosserie übereinstimmen müßte, sieht hier niemand ganz ein. Solange überhaupt eine Karrosserie vorhanden ist. Die Außenhaut eines durchschnittlichen Autos hier besteht zu mindestens 20% aus Luft, weiteren 30% aus Rost, noch einmal 30% aus Spachtelmasse, denn das gibt dem Bildhauer im Autoschlosser eine Chance, der Rest ist dann wirklich mehr oder weniger aus verbeultem Blech. Ein Auspuff ist das zweitunnötigste Accesoire nach den Rücklichtern, wird folglich grundsätzlich nicht ersetzt, wenn er an einer der hier in den Straßen häufiger zur Geschwindigkeitsreduzierung vorhandenen Schwellen hängenbleibt. Prinzipiell braucht man zum Fahren auch nur ein bis zwei Gänge, den einen zum Vorwärtsfahren und wenn ein Rückwärtsgang da ist, ist das natürlich angenehm, wenn nicht, muß man das Auto halt rückwärts schieben. Zum Sitzen reicht dem Fahrer ein Gartenstuhl, die restlichen Insassen des Vehikels mögen sehen, wie sie Platz finden. Ohne die vom Hersteller vorgesehenen Sitzgelegenheiten gehen auch viel mehr Leute rein. Kleinlastern fehlt meistens mindestens eine Tür, weswegen dort ein Mensch hängt, der aufpaßt, daß nichts geklaut wird. Was man so alles aus einem VW Bully (die Dinger werden in Brasilien nach wie vor hergestellt) machen kann, ist sagenhaft. Diese Dinger gibt es ja in der Pickup-Version, d. h. mit einer Ladefläche, in der Kleinlaster-Version, mit den entsprechenden Türen hinten bzw. an der Seite und als Kleinbusse. Hierzulande werden vor allen Dingen die Pickups so umgebaut, daß man denselben Laderaum wie bei einem ganz normalen LKW hat. Das heißt, daß der Aufbau, der hinten auf die Original-Ladefläche gesetzt wird, letztlich größer ist, als das ganze Auto selbst. Bei entsprechender Zuladung biegen sich dann natürlich die Achsen durch und die Räder stehen schräg, aber die Karren halten’s aus – deutsche Qualitätsarbeit! Sie fahren dann nur sehr langsam, was manchmal auf der Hauptverkehrsstraße zur Hauptverkehrszeit etwas lästig werden kann. Es gibt selbstverständlich entsprechende Regelungen und Vorschriften in den hiesigen Gesetzbüchern, jedoch lesen die Leute hier (doch, die meisten können’s) lieber die Schlagzeilen der Revolverblätter, so daß kaum mal jemand darauf aufmerksam wird. Menschen mit mehr Geld als Verstand haben es natürlich nicht nötig, in solchen Vehikeln durch die Gegend zu kutschieren, die besorgen sich dann Ferraris, Mercedes’, BMWs und ähnlich hübsche Spielzeuge und hupen, was das Zeug hält, wenn einer der besagten „Klein“-laster vor ihnen fährt. Davon werden die allerdings auch nicht schneller.

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