20.07.2007

Die Geister, die ich rief...

Die IG Metall erkennt, wenn auch spät, endlich, dass die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes Tücken birgt, die den Arbeitnehmern durchaus große Nachteile einbringen können. So war das nicht gemeint, und deshalb richtet jetzt Herr Willi Eisele von der IG Metall in Dresden eine Petition an den Deutschen Bundestag. Inhalt: Die Überlassung von Arbeitnehmern soll wieder zeitlich begrenzt werden.

Als ich die Petition durchlas, habe ich zunächst einmal aus vollem Halse gelacht; die Naivität, die der Text da enthüllt, ist auch wirklich schwer zu überbieten. Da ist also doch schon jemandem von der Industriegewerkschaft Metall aufgefallen, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der Form, wie es derzeit existiert, den Kündigungsschutz unterläuft, die Löhne und Gehälter in unterirdische Sphären drückt und die Arbeitnehmer in eine Situation der totalen Rechtlosigkeit bringt. Aber wir fangen mal von vorne an:

Vor der Reform war im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgelegt, dass eine Arbeitskraft für einen Zeitraum von maximal 12 Monaten verliehen werden durfte. Die Reform sah vor, dass dieser Zeitraum auf maximal 24 Monate ausgedehnt werden kann. Das wäre ganz gut gewesen, scheint aber den Arbeitgebern nicht weit genug gegangen zu sein, denn da wurden Hintertürchen geöffnet, die es erlauben, diesen Zeitraum zu überschreiten:

Zunächst wurde der Grundsatz des "equal treatment" (also der Gleichbehandlung) in das Gesetz aufgenommen. Das bedeutet, dass eine Leihkraft, die länger als 24 Monate durchgehend im selben Einsatz ist, den Mitarbeitern der Einsatzfirma bezüglich der Arbeitsbedingungen (Gehalt, Urlaub, Arbeitszeit) gleichgestellt zu werden hat. Es sei denn (und jetzt kommt's!), der Arbeitgeber (also der Personaldienstleister, bei dem der Arbeitnehmer angestellt ist) unterwürfe sich einem Tarifvertrag. Dann gelten natürlich die Bedingungen des Tarifvertrags.

Das klingt erstmal nicht schlecht und durch die "Tarifvertragspflicht" haben sich die Gewerkschaften (auch und gerade die IG Metall) ja auch ihr Mitspracherecht gesichert. Dumm, dass sie dieses Recht nicht in Anspruch genommen haben. Sehen wir uns also erstmal an, wie das Geschäft mit der Arbeitskraft eigentlich aussieht:

Der Personaldienstleister ist eine Firma, die bereit ist, ein gewisses finanzielles Risiko zu tragen - nämlich die Ausfallzeiten eines Arbeitnehmers. Kalkuliert wird, dass ein Arbeitnehmer durchschnittlich ca. 18 Tage im Monat in seiner Einsatzfirma tätig sein kann. Der durchschnittliche Arbeitsmonat hat aber 21 Arbeitstage, die drei restlichen sind der "Puffer" für Urlaub und sonstige bezahlte Ausfallzeiten. Wenn jetzt ein Kunde eine Arbeitskraft mieten möchte, geht er zum Personaldienstleister, fordert eine Kraft mit einer bestimmten Qualifikation an und bietet dafür eine bestimmte Summe X pro Stunde an, das ist die Basis für die Kalkulation des Personaldienstleisters. Die Summe X wird durch drei geteilt: Ein Drittel für die Kosten (das Unternehmen muss ja nicht nur das Risiko tragen, sondern auch elegante Büroräume unterhalten und den "Innendienst", also Disponenten, Teamassistenzen usw. beschäftigen), ein weiteres Drittel ist Gewinn - und das letzte Drittel geht an den Arbeitnehmer. Selbstverständlich ist es möglich, dass sich diese Werte ein bisschen verschieben (normalerweise zu Ungunsten des Arbeitnehmers), aber die "Daumenkalkulation" ist ungefähr so.

Der Entleiher ist für den Personaldienstleister ein Kunde. Daraus folgt, dass er selbstverständlich versuchen wird, die für ihn günstigsten Konditionen herauszuhandeln, was ja ein sehr legitimes Kundenanliegen ist. In der Folge wird der Entleiher mit Sicherheit nie das Dreifache dessen, was er einem seiner eigenen Angestellten als Bruttogehalt zahlt (plus Arbeitgeberanteile) an den Personaldienstleister zahlen. Er wird im Gegenteil versuchen, möglichst nicht wesentlich mehr als das, was seine Angestellten als Bruttogehalt bekommen, zu bezahlen. Am Ende landet er bei Kosten (auf die Arbeitsstunde bezogen), die maximal um die Hälfte höher liegen als beim Angestelltenbrutto. Das ist der Spaß auch wert, denn:

  • es werden nur tatsächlich gearbeitete Stunden bezahlt
  • das Arbeitsverhältnis kann jederzeit ohne Angabe von Gründen beendet werden

Keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, kein bezahlter Urlaub, keine Abfindung und lästige Begründung bei Kündigung. Ist doch praktisch, oder? Das lassen sich die Einsatzfirmen gerne etwas kosten.

Und so kommt es, dass in Abteilungen, die von Auflösung bedroht sind, immer mehr Leihkräfte zum Einsatz kommen und die fest angestellten Arbeitnehmer verdrängen. Diese Tatsache wird von der Bundesregierung im zehnten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - AÜG - großzügig übersehen. Im Gegenteil, man feiert, dass die die Zahl der überlassenen Leiharbeitnehmer im August 2004 mit mehr als 430.000 ihren bisherigen Höchststand erreicht hat. Wen wundert's? Es war abzusehen, dass dieses Instrument von Arbeitgebern zur Risikominimierung benutzt werden würde, und zwar vom ersten Tage an.

Die Gewerkschaften scheinen der Ansicht gewesen zu sein, dass sie durch den Abschluß von Tarifverträgen die Leiharbeitnehmer vor diesen und anderen durchaus problematischen Folgen würden schützen können. Es sieht tatsächlich so aus, als ob sowohl Bundesregierung als auch Gewerkschaften der Ansicht seien, sie hätten hier einen befriedigenden Ausweg aus einer miserablen Situation gefunden. Das stimmt ganz gewiss höchstens teilweise.

Wir sehen uns mal exemplarisch den Tarifvertrag der IGZ an:

Festgelegt ist im Tarifvertrag unter vielem anderen

  • die regelmäßige wöchtentliche Arbeitszeit mit 35 Stunden
  • die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos

Es gibt da aber die immens wichtige Einschränkung, die besagt, dass die monatliche Arbeitszeit an die des Entleihers angepasst wird. Das bedeutet im Klartext, dass die 35 Stunden eigentlich nur nominell sind; die Arbeitszeit ist deutlich länger, meistens so zwischen 38 und 40 Stunden pro Woche. Auch das wäre noch auszuhalten, wenn es denn bezahlt würde. Aber hier kommt das Arbeitszeitkonto zum Tragen:

Laut Tarifvertrag soll sich die auf diesem Konto angesparte Zeit zwischen maximal 21 Minus- und 150 Plusstunden bewegen. Der Personaldienstleister hat aber keinerlei Interesse daran, dass das Konto ins Minus rutscht, im Gegenteil: Mit dem Argument, dass ja zwischen zwei Einsätzen immer mal "Leerlaufzeiten" entstehen könnten, wird darauf bestanden, dass dieses Konto sich im Plus befindet. Je nachdem, wie gierig der Personaldienstleister hier ist, kann es sein, dass "nur" 20 Stunden als Pfand einbehalten werden, es gibt aber durchaus auch solche, die erst dann "Überstunden" (also die Differenz zwischen tarifvertraglich festgelegter Arbeitszeit und tatsächlicher regelmäßiger Arbeitszeit) auszahlen, wenn das Arbeitszeitkonto ein Plus von vollen 150 Stunden aufweist. Wenn wir jetzt mal "nur" das Mindestgehalt von 7,15 Euro (für die "alten" Bundesländer) nehmen, ergibt sich hier eine Summe von 1072,50 Euro, die der Personaldienstleister für sich arbeiten lassen kann, weil er sie dem Arbeitnehmer einfach nicht auszahlt. Nehmen Sie diese Summe mit nur 500 Mitarbeitern eines mittelständischen Unternehmens mal, so sehen Sie, dass da eine recht nette Summe zusammenkommt, die auch gute Zinsen abwirft. Risikominimierung mal ein bisschen anders.

Das alles geht natürlich zu Lasten des Arbeitnehmers, der, bis er sein Arbeitszeitkonto brav gefüllt hat, ein gutes halbes Jahr lang auf einen Teil seines Gehalts verzichten muss. Segensreiche Zeitarbeit!

Jetzt werden Sie fragen, warum die Leute sich dagegen nicht wehren, warum diese Zustände nicht publik gemacht werden. Gute Frage! Ich vermute, dass es daran liegt, dass unsere liebe Bundesregierung immer noch mit einer rosaroten Brille auf die Zeitarbeit schaut. Woher soll sie auch wissen, was da passiert? Die Arbeitnehmer, die sich auf das Abenteuer Zeitarbeit einlassen, sind meistens Leute, deren Alternative in der Langzeitarbeitslosigkeit besteht. Sie sind froh, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben und nehmen einiges in Kauf dafür. Sie investieren auch viel Hoffnung - denn es wird ja auch davon ausgegangen, dass Leiharbeitnehmer nach einer gewissen Zeit von ihrer Einsatzfirma übernommen werden. Und das wird den Leiharbeitnehmern auch so gesagt, beispielsweise bei der Arbeitsagentur. Dass das aber selten das Ziel der Einsatzfirmen ist, habe ich weiter oben schon ausgeführt.

So ist ein Leiharbeitnehmer meistens ein Mensch, dessen Gehalt ungefähr um ein Drittel unter dem liegt, das seine fest angestellten Kollegen bekommen (jedenfalls sobald er dann seine "Überstunden" ausgezahlt bekommt), der einen geringeren Urlaubsanspruch hat (von Urlaubs- und Weihnachtsgeld reden wir gar nicht erst), der oft auch eine längere wöchentliche Arbeitszeit hat als seine fest angestellten Kollegen und der keinerlei Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung hat.

Denn wenn er zu seinem Arbeitgeber geht und um eine Gehaltserhöhung bittet, wird er zu hören bekommen, dass das leider nicht gehe, weil die Einsatzfirma nicht mehr zahle. Erkundigt er sich bei der Einsatzfirma, ob es möglich sei, den Stundensatz zu erhöhen, bekommt er zu hören, dass das leider, leider von der Einkaufsabteilung abhänge, die bedauerlicherweise nicht gewillt sei, mehr zu bezahlen, als sie unbedingt müsse.

Schlimm wird's, wenn der Arbeitnehmer sich an seinem Einsatzort schlecht behandelt fühlt. Geht er zu seinem Vorgesetzten (oder dessen Vorgesetzten) in der Einsatzfirma und beschwert sich, muss er mit der fristlosen Beendigung des Leihvertrages rechnen. Bittet er seine Vorgesetzten bei seinem Arbeitgeber, also dem Personaldienstleister, um Hilfe, wird er zu hören bekommen, dass er doch bitte noch ein bisschen aushalten möge, es handle sich hier ja um einen Kunden und den dürfe man nicht verärgern.

Insofern hat der Leiharbeitnehmer es schlechter als ein Mietauto. Wenn nämlich ein Kunde zur Autovermietung geht, sich einen Ferrari mietet, dort eine Anhängerkupplung montieren läßt und mit dem Ferrari Umzugsanhänger durch die Gegend fährt, wird der Vermieter seinen Kunden fragen, ob er noch ganz gesund ist und ihm den Schaden in Rechnung stellen. Ein Leiharbeitnehmer hat diesen Luxus nicht; wenn ein Mensch "aufgebraucht" ist, dann wird er an den Personaldienstleister zurückgegeben - und der wird diesen nicht mehr einsatzfähigen Menschen einfach betriebsbedingt kündigen.

Sie sehen also, dass die Segnungen der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die es durchaus gibt, auch ihre Schattenseiten haben. Die Vorteile dieser Reform sind ganz klar auf der Seite der Arbeitgeber und ihrer Kunden. Die Menschen, die da verliehen werden, können nur hoffen, an einen seriösen Personaldienstleister zu geraten, der ein Monatsgehalt zahlt, vernünftige Arbeitszeitregelungen anbietet und das verpflichtend vorhandene Arbeitszeitkonto nicht für seine Zwecke missbraucht. Diese Arbeitgeber gibt es. Sie sind bedauerlicherweise nicht unmäßig dicht gesät.

Und deshalb bin ich der Ansicht, dass jede Unterschrift unter die Petition des Herrn Eisele einen Gewinn für die deutsche Arbeitnehmerschaft bedeuten wird. Unterschreiben Sie sie ruhig. Herr Clement meinte 2004: "Der Bericht bestätigt: Es war richtig, dass wir die Leiharbeit ‘aus der Schmuddelecke’ geholt haben. Hierdurch haben wir ihr zu mehr Akzeptanz und Qualität verholfen. Dies war und ist wichtig, um das Beschäftigungspotential in diesem Sektor Schritt für Schritt erschließen zu können." Ich denke, dass unsere Volksvertreter hier durchaus noch Kurskorrekturen anbringen sollten.

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