12.05.2002

Hoppala - ja, so ein Spiegel aber auch!

Mein Cousin Heiner liest den Spiegel ja nicht, sagt er. Zu rot, sagt er. Die wollen ja immer nur die SPD fördern, sagt er. Er liest ihn natürlich doch - heimlich, bei mir, damit's keiner merkt. Ich sage ihm immer, er spräche Unsinn - der Spiegel berichtet über das, was so passiert. Vielleicht sind die Damen und Herren ja der SPD etwas zugeneigter als den anderen Parteien. Aber was soll's, solange sie relativ neutral bleiben. Tja, und nun das...

Heute habe ich wieder in der Online-Ausgabe geblättert und mir die Artikel über die "antisemitischen Ausfälle" diverser FDP-Mitglieder angetan. Ist ja mal interessant, was man da so erfährt. Da gibt es Leute wie Westerwelle und Gerhardt, die partout auf dem Standpunkt beharren, dass sie sich die Berechtigung nicht absprechen lassen wollen, Ariel Scharon, den Premierminister Israels, für seine Politik den Palästinensern gegenüber zu kritisieren. Da gibt es Möllemann, den sowieso kein Mensch mehr ernst nimmt, seit er für seinen Schwager den Propagandisten gemimt und in einem offiziellen Anschreiben an diverse Unternehmen die Einkaufswagenloskett-Chips, die sein Schwager (oder Vetter, so genau weiss das heute keiner mehr) herstellte, als "pfiffige Idee" bezeichnet hat. Möllemann also scheint so langsam zum "nationalliberalen" mutieren zu wollen, wenn man dem Spiegel glaubt. Erstmal ist er - was so verdächtig ist, dass es dem Spiegel satte zwei Erwähnungen wert ist - Vorsitzender der Deutsch-Arabischen Gesellschaft, schon seit 1981, man stelle sich das vor. Nicht, dass der Mann ein Schläfer ist! Er hat ja die Stirn, die Politik des Herrn Scharon aufs schärfste zu kritisieren, das ist wirklich unfein. Nein, nicht genug damit, er holt sogar einen hochverdächtigen Ex-Grünen, der auch noch Deutsch-Syrer ist (fehlt nur noch, dass der Mann CounterStrike spielt!), in die FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Dieser Mensch, Jamal Karsli mit Namen, hat Herrn Scharon "Nazi-Methoden" vorgeworfen. Unglaublich! Ein israelischer Ministerpräsident würde nie, aber wirklich niemals solche Methoden anwenden - schon seiner Nationalität wegen ist er nämlich ein guter Mensch, der im Traume nicht darauf käme, anderen Leuten dasselbe oder ähnliches anzutun wie die jüdische Glaubensgemeinschaft es während der tausend Jahre von 1933 bis 1945 hat erdulden müssen.

Das alles erbost nun wieder Frau Hamm-Brücher, die 81-jährige "grosse alte Dame" der FDP, die sich ihrer Aushägeschildfunktion innerhalb der Partei sicherlich bewusst ist. Sie schreibt an Herrn Westerwelle - mit Durchschlag an den Spiegel und weiss der Himmel wen noch alles. Sie tobt, sie droht mit ihrem Austritt aus der Partei. Weil nämlich Herr Möllemann sich antiisraelisch und einseitig propalästinensisch äussert und kein Mensch in der FDP sich eindeutig von diesem Kurs distanziert (ausser Sabinchen, die auch in Klammern lobend erwähnt wird, so viel Zeit muss sein). Sie will kein Wörtlein gegen die Politik Israels den Palästinensern gegenüber mehr dulden. Jawohl! Sie wäre bereits ausgetreten, wenn sie nicht fürchtete, dass die Partei, der sie seit 1948 angehört, auf diese Weise Wahlkampfschaden erleiden könnte. Ui! Harte Worte. Allerdings bedenkt sie offensichtlich nicht, dass der Durchschlag an den Spiegel schon grossen Schaden anrichten kann. Aber auch grosse alte Damen sind nicht davor gefeit, ein bisschen Selbstdarstellung zu betreiben. Und es war ja in der letzten Zeit wirklich auffallend ruhig um Frau Hamm-Brücher - keine Rede, keine Einkaufszentrums-Eröffnung, noch nicht mal ein klitzekleiner Besuch in einem Waisenhaus. Da musste wirklich was geschehen, das ist wahr.

Inzwischen ist der Aufnahmeantrag des Herrn Karsli - nein, nicht in der Rundablage, so weit wollen wir doch nicht gehen - zur Seite gelegt. Somit wäre Herr Karsli also parteiloses Mitglied der FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag - ein Kuriosum für sich. Man möge davon nun halten, was man will.

Kurios finde ich, dass kein Mensch auf die Idee kommt, Herrn Karsli mal freundlich zu bitten, diese von ihm so genannten "Nazi-Methoden" etwas näher zu erklären. Auch Herr Möllemann wird nicht gebeten, seine Position mal etwas zu verdeutlichen und zu erklären, wie er auf die Ideen kommt, die als so anstössig empfunden werden. Nur so könnten diese Äusserungen eingeordnet beziehungsweise entkräftet werden. Das hat aber selbst eine Frau Hamm-Brücher nicht nötig - sie will nur dieses antisemitische Geplärre abgestellt sehen. Die Parole lautet: "Schweig', oder...". Ohne überhaupt danach zu fragen, ob es sich tatsächlich um Antisemitismus handelt oder nur um rhetorische Ungeschicklichkeit.

Es interessiert auch keinen derer, die da fix dabei sind, Leuten aus der FDP-Parteispitze Antisemitismus vorzuwerfen, ob die Kritik an Herrn Scharons Politik wohl berechtigt, teilweise berechtigt oder nicht berechtigt sei. Das Thema wird nicht diskutiert, wer nicht für Israel ist, ist gegen Israel... hups, das hab' ich doch irgendwo schon mal gehört? Vielleicht sollten sich die Damen und Herren aus der FDP-Parteispitze mal zusammensetzen und scharf darüber nachdenken, wie man den Nahost-Konflikt, wie dieses ständige Hinschlachten von Menschen auf beiden Seiten so fein umschrieben wird, denn den Tatsachen entsprechend beurteilen kann, wer zu kritisieren ist, wie und wofür. Damit wäre dem Ruf der FDP weit mehr gedient als mit der in einem offenen Brief geäusserten Drohung der "grossen alten Dame", die Partei zu verlassen, falls diese ungezogenen Kinder nicht beim zweiten Anlauf, den sie in dieser Sache macht, spurten.

Das absolute Highlight an dem Artikel ist aber nicht der seifenoperreife Familienstreit in der FDP-Parteiführung, nein! Das Highlight hat der Spiegel selbst eingebracht - in Form einer Anzeige, die ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten möchte. Hier ist der Screenshot vom 12.05.2002, Anzeige rot eingerahmt und kommentiert:

Ein Schelm, wer böses dabei denkt! Vielleicht hat Heiner ja doch recht?

Liebe Grüsse

Astrid Steinmann

Links zu den für diesen Artikel gelesenen Spiegel-Artikeln:
Verzweifelter Kampf gegen Antisemitismus-Vorwürfe
Wachsendes Entsetzen
HILDEGARD HAMM-BRÜCHER - "Ich schäme mich"