03.07.2005

Kinder, Frühstück!

Es ist Sonntagmorgen, mein Mann und ich haben Brötchen aufgebacken und nahrhafte Dinge auf den Tisch gestellt: Margarine, mehrere Sorten Wurst und Käse und auch Marmelade. Alles ist fertig, wir rufen die Kinder zum Frühstück. Der Große muß sich noch anziehen, der Kleine muß unbedingt noch ganz schnell etwas am Computer machen, das Ende vom Lied ist, dass wir schon mal anfangen, weil wir nicht einsehen, dass wir uns den Sonntagmorgen davon vergällen lassen, dass wir unsere Kinder an den Frühstückstisch nörgeln. Vielleicht ist das ja ein Erziehungsfehler, wir wissen es nicht, es ist uns momentan auch egal, wir haben Hunger und sind nicht bereit, länger zu warten.

Als wir beim zweiten Brötchen angelangt sind, erscheinen die jungen Wilden denn doch noch. Der Große schmiert sich mit Begeisterung sein erstes Brötchen, der Kleine möchte seins gemacht bekommen. Dafür ist er ein bißchen groß und außerdem ein bißchen spät dran, erklären wir ihm. Daraufhin bricht er schier über seinem Teller zusammen, die Anstrengung, ein bereits aufgeschnittenes Brötchen mit Margarine zu beschmieren und danach mit einem Belag seiner Wahl zu versehen, nimmt in seiner Phantasie übermenschliche Ausmaße an, er sieht sich dieser Aufgabe einfach nicht gewachsen und verlangt nach Cerealien. Und das, obwohl er sein Sonntagsbrötchen eigentlich gerne ißt. Wir tun ihm den Gefallen, denn wir möchten gern in Ruhe weiterfrühstücken. Gefräßige Stille senkt sich über den Tisch, alle kauen glücklich vor sich hin.

Plötzlich nimmt der Kleine die Schachtel, die das einfache Frühstück beherbergt, liest den aufgedruckten Text aufmerksam durch und meint: "Das ist doch eigentlich auch ein gesundes Frühstück, oder? Da sind doch ganz viele Vitamine drin!" Tja, ist das wirklich so? Sicherlich ist dort eine Liste zu bewundern, in der aufgeführt ist, wieviel Prozent des Tagesbedarfs an Vitaminen eine Portion dieses Nahrungsmittels deckt. Nachdem die Vitamine allein aber noch nicht alles sind, sehen wir uns mal die Zutatenliste an. Dort sind nämlich die Inhaltsstoffe in der Reihenfolge ihres Anteils aufgelistet und das liest sich wie folgt: 49% Getreide (Weizenmehl, Maisgrieß), Zucker, Glukosesirup, 8% Karamelcreme (die ihrerseits unter anderem aus gezuckerter Kondensmagermilch, Zucker, Glukosesirup und weiteren Inhaltsstoffen besteht), danach noch einiges andere und ganz zum Schluß die Vitamine, die nur in winzigsten Mengen vorhanden sind, so viel braucht man davon ja nicht.

Wir erklären unserem Kleinen also, dass das heißt, dass dieses wunderbare Nahrungsmittel aus Getreide, Zucker, Zucker, Zucker und Zucker besteht. Gesund ist das bestimmt nicht. Der Kleine macht ein langes Gesicht. Er war auf die schön gestaltete Vitaminliste hereingefallen, die natürlich viel größer gedruckt ist als die Zutatenliste. Logisch, wer wird denn auch die Durchschnittshausfrau darauf aufmerksam machen, dass sie, wenn sie dieses Zeug an ihre Kinder verfüttert, die lieben Kleinen zum Naschen erzieht und ihnen den Geschmackssinn verbiegt. Wenn es nach unserem Kleinen ginge, äße er seine Lieblingscerealien morgens, mittags und abends auch noch. Nunja - an diversen Vitaminen wäre der Tagesbedarf damit gedeckt, soviel steht fest. Aber diese Vitamine sind ja bedauerlicherweise nichts Echtes - sie sind ja künstlich hinzugefügt, um diesem "Nahrungsmittel" einen gewissen Wert anzudichten. Der Kleine hört sich das alles schweigend an, isst auf und starrt die Schachtel einigermaßen böse an. Die erste Runde, die an uns geht. Schon mal was.

Aber gleich darauf meldet sich der Große zu Wort, mit der Ansicht, dass sein Milchzusatz mit Erdbeergeschmack ja mit Sicherheit viel, viel gesünder sei als des Kleinen Cerealien. Wir sehen uns mal die Packung an: 60% Traubenzucker, Zucker, Maltodextrin, Farbstoff, Fruchtaroma - dann erst kommen Vitamine. Also schon wieder Zucker, Zucker, Zucker. Nee, Großer, auch das hat mit "gesund" nichts zu tun. Schlimm genug, dass auch dieses Zeug nichts als leere Kalorien birgt. Dazu kommt aber noch, dass er damit an den künstlichen Erdbeergeschmack aus der Chemikerretorte gewöhnt wird. Er mag nämlich keine Erdbeeren, weil die angeblich nicht nach Erdbeeren schmecken. Auch das wird ihm selbstverständlich brühwarm serviert. Tja, wieder nix, mit der Gesundheit, nun ist des Großen Gesicht lang.

Wir packen die Gelegenheit beim Schopf und erklären unseren Kindern, dass sie, wenn sie Vitamine möchten, diese am Besten mit nicht industriell "veredelten" Nahrungsmitteln zu sich nehmen - Obst, Gemüse, Vollkornbrot, auch mal ein Stückchen Fleisch, klar. Dass die Brötchen auch nicht gerade ein Vitaminlieferant sind, verschweigen wir an dieser Stelle - man muss nicht immer alles sagen, schon aus erzieherischen Gründen. Unsere Glaubwürdigkeit wankt beim Großen, der sich ja mit seinen zwölf Jahren schon zu den "Jugendlichen" zählt, sowieso schon, da muss man nicht noch zusätzlich Stoff liefern. Ausserdem wollten wir ja in Ruhe frühstücken - und das Ziel haben wir erreicht. Ausnahmsweise mal. Das muss ja ein schöner Sonntag werden!